Alles Leben ist heilig
Es ist schön zu denken, dass so viele Menschen
heilig sind in den Augen derer, die sie lieben.Christian Morgenstern
Unsere Welt ist sinnvoll, wunderschön und heilig. – Oder ist dies nur eine romantische, ausgedachte, blauäugige Deutung, die uns ein wenig versöhnlicher stimmen soll mit einer harten, gefühllosen und vollkommen sinnlosen Existenz?
Denn entweder leben wir in einem sinnlosen und zufällig entstandenen oder in einem sinnvoll erschaffenen und gewachsenen Universum. Entweder hat das Leben einen Sinn oder nicht – oder kann es hier etwa Zwischenpositionen geben? Und: wenn das Leben eines Menschen sinnvoll und bedeutungsvoll wäre, könnten wir dann sagen, das Leben einer Katze oder eines Insekts sei nicht oder weniger sinnvoll? Eine „Skala“ an Sinnhaftigkeit, Heiligkeit oder Bedeutung könnte bestenfalls eine künstliche Konstruktion unseres Verstandes sein. Wir müssen selber hinspüren und uns tief einlassen ins Leben, um die Wahrheit zu ergründen. Wir müssen die Antwort für uns selbst finden.
Der Mensch soll dem Menschen etwas Heiliges
sein. Dieses All, das du siehst, das die göttliche
und menschliche Welt umfaßt, bildet eine
Einheit: Wir sind Glieder eines großen Körpers.
Die Natur hat uns als Verwandte erzeugt. ….Seneca
In einer alten Überlieferung wird erzählt, daß der chinesische Kaiser Wu, der ein großer Förderer der Religion und des Buddhismus war, einmal Meister Bodhidharma zu sich bat und ihn fragte: „Was ist der tiefste Sinn der Heiligen Wahrheit?“ Bodhidharma sagte: „Unendlich weit und leer, nichts von heilig.“ Schau um dich! Seh, was ist! Es gibt keine Rangunterschiede in Heiligkeit, Wahrheit und Sinn. All dies wären nur Konzepte des Verstandes. Alles ist, wie es ist – frei und offen. Bodhidharma hätte auch sagen können: Unendlich weit und leer – alles ist heilig.
Alles Leben ist heilig. Das Schreien der Kinder ist so heilig wie die Gebete der Mönche. Die Lehmhütte des Bauern ist so heilig wie der goldene Tempel. Die Wolken, der Regen, die schlammige Erde und das Gras – alles ist heilig. Es ist gerade so. – Der Kaiser soll etwas verwirrt gewesen sein. Vielleicht hatte er noch alte Vorstellungen im Kopf, nach denen gewisse Dinge heiliger seien als andere, gewisse Menschen oder Lebewesen wertvoller als andere.
Alles in unserer Welt ist auf subtile und innere Weise miteinander verbunden. Alles Leben ist letztlich ein Leben. Wir sind nicht getrennt von der Wahrheit und dem Sinn – niemand ist es. Doch jedes Lebewesen bringt das Geheimnis und die unfaßbare Heilige Wahrheit des Lebens auf eine ganz eigene, einzigartige Weise zum Ausdruck. Doch ist das Leben „heilig“?
Nun, Worte sind Worte. Was ist „heilig“, was „unheilig“? Alles ist, was es ist – und alles lebt. Hinter allen Erscheinungen steht eine lebendige Wirklichkeit, die wahrhaft heilig ist – jenseits von „heilig“ und „unheilig“. Offene Weite – nichts von heilig. Nur unserem klaren Auge zeigt es sich.
Natürlich ist unser Leben sinnvoll, wunderschön und heilig! Wir müssen mit den Augen des Herzens sehen – selber sehen – nicht einfach Übernommenes glauben. Diese Art von wahrer Heiligkeit ist eine Qualität, die wir selbst erfahren müssen – tiefer und tiefer, in jedem Augenblick neu. Doch wir müssen diese Qualität auch zum Ausdruck bringen: jeder auf seine Weise. Eine Katze ist nicht weniger heilig als ein „Heiliger“ – ein Bettler nicht weniger als ein Kaiser. Wenn es uns gelingt, unseren Herzgeist zu wecken und in Liebe wahrhaftig zu sehen, was werden wir entdecken? Laßt uns dies herausfinden!
Inhalt:
Vorbemerkung
1. Nichts ist heiliger als das Leben!
2. Der Traum des Lebens
3. Das Eine und das Viele
4. Die Macht der Phantasie
5. Schönheit
6. Die Weisheit des Herzens
7. Trink eine Tasse Tee!
8. Sich dem Leben hingeben
9. Wie tief ist der Fluß?
10. Strukturen – oder: Welten in Welten
11. Die eigene Welt erschaffen
12. Das Geheimnis des Göttlichen
13. Gott ist Liebe
14. Das Leben ist leicht
15. Selbstannahme und Selbstbejahung
16. Der Weg des Lebens
17. Das Licht hinter dem Licht
18. „Kampf ums Überleben“ oder „Gegenseitige Hilfe“
19. Abgründe und Aufbrüche
20. Heilung, Heil und Heiligkeit
Literaturhinweise